„Zur Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie brauchen wir eine starke Lobby für junge Menschen und ihre Familien in der Region Landshut!“

Am 15. Juli 2021 traf sich der „Runde Tisch Kinder- und Jugendhilfe Landshut“ zu seiner zweiten Sitzung. Dem unabhängigen Gremium gehören derzeit rund 20 Fach- und Leitungskräfte aus allen Ebenen des Arbeitsfeldes und seinen Kooperationspartner*innen an: Vertreter*innen aus Behörden auf Bezirks-, Stadt- und Landkreisebene, den Jugendhilfeausschüssen, Fachkräfte aus offenen, ambulanten und stationären Einrichtungen, der Jugendsozialarbeit an Schulen, der interkulturellen Arbeit, der Gewaltprävention, dem Kinderkrankenhaus sowie Studierende und Vertreter*innen der Fakultät Soziale Arbeit an der Hochschule Landshut u.a. Der Runde Tisch ist offen für weitere Interessierte.
Der Runde Tisch versteht sich als Austauschgremium aller Akteur*innen in diesem Feld. Gemeinsam will man sich für den Ausbau der Einrichtungen und Dienste, die Kinder, Jugendliche und Familien in der Region Landshut unterstützen, stark machen.

In der Sitzung, die von einer Arbeitsgruppe vorbereitet wurde, trugen Mitglieder des Gremiums vor, was sie zu psychosozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche recherchiert hatten. Es ging auch um die Auswirkungen auf die Infrastruktur, die Finanzierung/Wirtschaftlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe sowie die behördlichen Verfahren.

Einig waren sich alle Beteiligten darüber, dass die Corona-Pandemie die infrastrukturellen Schwächen und Stärken der regionalen Kinder- und Jugendhilfe deutlich gemacht hat. Nach und nach wird deutlicher, wie schwerwiegend und nachhaltig die psychischen und sozialen Folgen der Pandemie für junge Menschen sind und dass die Pandemie-Folgen vor allem benachteiligte Bevölkerungsgruppen treffen und soziale Ungleichheiten verstärken. Alle Anwesenden waren sich auch darüber einig, dass in der Region Landshut eine starke Kinder- und Jugendhilfeinfrastruktur gebraucht wird, um die Folgen und Begleiterscheinungen der Pandemie zu bewältigen. Junge Menschen und ihre Familien müssen zudem auch in zukünftigen Krisen unterstützt werden. Hierfür bedarf es einer starken Lobby, die sich für die Rechte junger Menschen auf gesellschaftliche Teilhabe vor Ort stark macht.
Die Anwesenden einigten sich auf das nachfolgende Sechs-Punkte-Programm, das in der nächsten Sitzung des Runden Tisches am 14. Oktober 2021 mit einem konkreten Maßnahmenkatalog unterlegt werden soll.

1. Aufstockung des Kinder- und Jugendhilfehaushalts
Der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe kommt eine zentrale Funktion in der Gestaltung und dem Fortbestand unserer Zivilgesellschaft zu. Sie hat zudem präventive Funktion und setzt sich für Teilhabe-Gerechtigkeit ein. Damit ist die Kinder- und Jugendhilfe auch eine Investition in den Kinderschutz! Vor diesem Hintergrund muss die Zukunftsfähigkeit der Kinder- und Jugendhilfe langfristig gesichert werden. Dies zeigt sich auch in der dringend nötigen Digitalisierung der Kinder- und Jugendhilfe. Es darf zu keiner Standardabsenkung in den Angeboten kommen, sondern es muss eher eine Aufstockung der Mittel für die Kinder- und Jugendhilfe in der Region geben. Auch die sog. „freiwilligen“ Leistungen, wie z.B. offene Jugendarbeit, Familienbildung u.a., müssen abgesichert und ausgebaut werden.

2. Erweiterung des Angebotsspektrums
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es anderer und neuer Angebotsformen be-darf, damit junge Menschen ihre versäumte Entwicklungszeit annähernd aufholen, so-iale Kontakte nachholen und traumatisierende Erfahrungen auf- und verarbeiten können. Sie benötigen dafür geschützte offene Treffmöglichkeiten und unterstützende und geschulte traumainformierte Ansprechpartner*innen. So müssen beispielsweise auch Präventionsangebote, wie z.B. Erlebnispädagogik, in Freizeit-, Bildungs- und Erzieungseinrichtungen und fest verankert werden. Damit einem weiteren Rückfall in tradierte Rollenbilder und einer Dreifachbelastung von Frauen durch Berufs-, Erziehungs-/Familienarbeit und Homeschooling Vorschub geleistet wird, müssen Entlastungsstrukturen für Familien geschaffen und eine gender- und diversitätsorientierte Familienbildung etabliert werden.

3. Anlaufstellen für junge Menschen vorhalten
Vor allem in Zeiten des Lockdowns ist offenkundig geworden, dass junge Menschen in Familien, aber auch in stationären Settings, in denen sie über Tag- und Nacht un-ergebracht sind, immer Ansprechpersonen/Personen des Vertrauens benötigen. Sie brauchen unabhängige Personen, denen sie sich anvertrauen, bei denen sie sich aus-sprechen oder auch beschweren können. Beschwerde-/Ombud- und Anlaufstellen für junge Menschen müssen regional vorgehalten werden.

4. Junge Menschen konsequent anhören und beteiligen
Alle Erfahrungen zeigen, dass junge Menschen in der Pandemie wenig beteiligt wurden an Entscheidungen, wie Schulschließungen und-Teilöffnungen, zum Maskentragen, zu Impfungen zu Krisenplänen. In die Abwägungen zu Hygienemaßnahmen wurden junge Menschen nicht angehört und ihre Bedürfnisse wurden nicht einbezogen. In Gefährdungssituationen konnten sie sich aufgrund der Lockdown-Bedingungen mitunter nicht anvertrauen. Gerade in Krisensituationen zeigt sich, wie ernst es der Gesell-schaft mit den Kinder- und Jugendrechten meint, darum müssen künftig junge Menschen konsequent bei allen sie betreffenden Angelegenheiten – und dazu zählen auch die o.g. Aspekte – gehört und alterns- und entwicklungsbedingt beteiligt werden und ihre Partizipationsrechte konsequent umgesetzt werden.

5. Jungen Menschen Bildungschancen eröffnen
Die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe trägt viel dazu bei, dass benachteiligte junge Menschen Bildungschancen bekommen und gesellschaftlich integriert werden und nicht in Armutsspiralen geraten. Dafür benötigen sie Ausbildungsmöglichkeiten, die ihnen von Unternehmen eröffnet werden – in einer drohenden Wirtschaftskrise umso mehr. Sie benötigen das Engagement der gesamten städtischen Gesellschaft, dass sie aufholen und teilhaben können.

6. Orte gewaltfreier Kommunikation vorhalten
Die Auseinandersetzung mit Corona hat viele gesellschaftlich Gräben eröffnet, Fronten haben sich verhärtet, der Ton zwischen Gegner*innen ist hart geworden, die Kommunikation mitunter gewaltförmig. Für junge Menschen ist das kein Modell für Diskurs und Zivilgesellschaft. Die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bietet Orte, an denen sich junge Menschen informieren können, an denen sie Probleme lernen konstruktiv zu lösen. Die Diskurse mit und unter jungen Menschen über ihre Zukunft dürfen nicht abbrechen, dafür benötigen sie Räume und Gelegenheiten und aushandlungsfähige Fachkräfte, die die Kinder- und Jugendhilfe vorhält.

Landshut, 15.07.2021

Kontakt:
Prof. Dr. Mechthild Wolff, Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut Fakultät Soziale Arbeit

Am Lurzenhof 1, 84036 Landshut

Tel.: 0871-506-439

E-Mail: mechthild.wolff@haw-landshut.de